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Selbstredend - selbstverständlich - selbstvergessen


Ich könnte vieles tun, wenn ich nur genügend Zeit hätte. - Also kam mir eines Tages die Idee: Ich könnte viel mehr tun, probieren, kennenlernen, wenn ich mich verdoppeln würde. Gesagt, getan - saß ich mir gegenüber. Fasziniert betrachtete ich mich, konnt mich nun selbst beim Tun erleben; mir selbst helfen - Unterstützung sein; - doppelt konnt ich nun ganz neues leisten.

Nach einiger Zeit, kam ich mit mir überein - die Aufgaben zu teilen. Ich sagte zu mir, wenn ich mich von mir trenne, könnt ich noch vielmehr verschiedene Erfahrung sammeln.

Jedesmal wenn ich mir nun begegnete, empfing ich viele neue Erfahrungen, die ich einfach gar nicht in dieser Zeit hätte sammeln können.
Erstaunlicherweise kam ich mir manchmal fremd vor, wenn ich mir eine Weile nicht begegnet war und mußte mir viel Zeit nehmen, um wieder eins mit mir zu werden, - zu verschieden waren meine Erlebnisse gewesen, manchmal traf Schmerz auf Freude - Leichtigkeit auf Anstrengung.

Doch Neugier schaffte immerwieder das Bedürfnis, mich zu trennen; - brachte wiederum Einsamkeit, die mich mich selber suchen ließ, um mir das neue anzutrauen, - zunächst befremden zu empfinden, mir dann näher zu kommen und das große Glück zu spüren, wenn die Trennung überwunden ward, ich wieder ganz ich selbst war - eins war mit meinen erlebten Freuden und Leiden - die Erfahrungswelten zu einem größeren verschmolzen - zum Universum - dem Weltall aller Welten.
Allein schon der Gedanke, mir wieder selbst begegnen zu können, - mich mir selbst mitzuteilen, mir neue Welten zu eröffnen, das wachsende Universum zu erfassen, - beglückte mich; - ließ mich mich selbst lieben, Freude an mir finden, - mich als Geschenk an mich selbst empfinden.

Das Glück - die Liebe zu mir - gebar den Wunsch, mich weiter zu vermehren. In jeder Begegnung mit mir selbst, im Glück der Einswerdung, zeugte ich ein neues Ich.

Bald stellte ich erschrocken fest, daß es nun unmöglich war, mir ganz und gar zu begegnen, das Universum auf einmal zu erleben - es wuchs mit jeder Erfahrung eines Ichs - und ich konnte mich in meiner Vielfalt nicht mehr fassen.

Ich gab mir Namen und Funktionen, nannte mich Frau, nannte mich Mann, wurde mir fremd und kam mir nah, zeugte mich aufs neue und starb zum Teil - ohne mich noch vollkommen erlebt zu haben. - Wurde mir so fremd, daß ich Angst vor mir bekam, - stand mir selbst im Weg, - ward wütend auf mich - verstand mich nicht - fand keine Zeit mehr, mich auf mich noch einzulassen, - ignorierte meine Welten, mit denen ich nun nicht mehr einfach verschmelzen konnte - wollte; - suchte nur noch nahes Ich. - Belog mich, indem ich ein mir fremd gewordenes Ich als Nicht-mehr-ich bezeichnete. - Spaltete mich, verbündete mich gegen mich - intrigierte gegen mich; bewertete mich - trennte mich in gut und böse; täuschte und enttäuschte mich, verkaufte mich, bekämpfte mich, beraubte mich und tötete mich, - opferte mich und trauerte um mich. Beschützte mich, - verdrängte mich, - schuf ein kleinkariertes Bild von mir. Schaffte Systeme in die ich mich zwängte, - schloß mich ein und schloß somit wieder aus. - Vergötterte mich und unterwarf mich meiner selbst - einer Idee von mir; - führte mich in die Irre, - ertrug mich - und befreite mich - ausnahmsweise von mir selbst, - verzeihte mir, ergab mich, verliebte mich und schenkte mich. - Duzte mich und siezte mich, - wollte von mir Anerkennung gegen mich, - wollte besser sein als ich, - wollte stärker sein als ich, - belobte und bestrafte mich. - Fragte mich: Wer bin ich? und merkte nicht, daß ich mich selbst nicht fand, da ich nur ein Teil von mir sein wollte. - Ich ward mir selbst zu viel und ging mir aus dem Weg, - traute mir nicht über'n Weg.

Nur manchmal träumt ich mich, spürte das Universum meiner Welten, ohne es zu fassen. Liebte mich - mit all meinen Facetten; öffnete mich - der Begegnung mit mir; - ahnte das Glück, - überwand Angst und Wut, um Freude und auch Schmerz mit mir zu fühlen, - um wieder Welten verschmelzen zu lassen; - um mich selbst mit mir selbst zu begreifen; - um mich selbst zu erklären, - um Klarheiten zu erlangen, - neues Selbstverständnis zu erzielen, - mich aufs neue lieben zu lernen, - wieder die Trennung zu spüren, - wieder Einsamkeit zu erdulden, um wieder die Freude in der Ahnung auf das Glück der Verschmelzung zu empfinden, - um das Universum zu erspüren, in der Gewißheit, es nicht mehr in allen Details erleben zu können; - mich getrennt und doch verbunden, mich einsam und doch eins - wie einst empfunden - zu empfinden.

Ich bin nun da - milliardenfach - und wünschte manchmal selbstvergessen, mich selber zu verdoppeln, um die selbstgezognen Grenzen zu überwinden ohne sie zu spüren.



peter zimolong – 15./16.10.2007